2017-04-24

#rp17-Speakerin: Nelly Ben Hayoun: Subversive Strategien im Orbit von Wissenschaft und Design

Nelly Ben Hayoun ist die jüngste Ergänzung unseres Mainstage-Programms. Sie ist bei ihrem Talk am Montag Designing the Impossible zu hören und wird ebenfalls auf einem Panel der MEDIA CONVENTION sprechen. Die Regisseurin und Gestalterin ist auf der Mission, Chaos und Subversion in die aufgeräumten und hierarchischen Welten von Wissenschaft und Design zu bringen. 

Hier hat die Disruption dann nichts mit “Businessopportunities“ zu tun, sondern mit der notwendigen Sensibilisierung für die Bedeutung von Forschung auch in unserem Alltag. In ihren Projekten sagt die Französin, gehe es immer um die Frage, wie wir Design und Designprozesse als eine kritische Plattform nutzen können, um Institutionen besser zu verstehen und als gesunde „Immunreaktion“ Diskussionen über ihre Funktion zu initiieren. Das geschieht teils auf ungewohnten Pfaden: Unter Wasser oder im fernsten Weltall hat Ben Hayoun schon Projekte umgesetzt. 

Einige bezeichnen sie deshalb auch als “Willy Wonka des Designs und der Wissenschaft“. Wie der sagenumwobene Schokoladenfabrikant beherrscht sie Opulenz – in Ausdruck und Form wie “International Space Orchestra“, ein Projekt, das sie gemeinsam mit der NASA umsetzte, zeigt. Experten der Weltraumorganisation und aus dem SETI-Institut, einer privaten Initiative auf der Suche nach intelligentem außerirdischen Leben, wurden zu einem Symphonieorchester zweitgeschult, das unter anderem mit den Musikern Beck oder Bobby Womack (von Womack&Womack) kollaborierte, um die Weltraum-Oper “Ground Control“ aufzunehmen. SciFi-Autor Bruce Sterling und seine Frau, die Schriftstellerin Jasmina Tesanovic lieferten hierfür die Texte. Die Premiere erfolgte in einem Windtunnel, wurde aufgenommen, gepresst und in einer Kapsel in die Umlaufbahn geschossen, wo die Aufnahme noch immer ihre Kreise zieht. Eine zweite Disk wurde während der #rp15 in die ISS gebracht; landete auf einem Selfie mit Astronautin Sam Christoforetti und kehrte an Bord einer Soyuz-Rakete sicher auf die Erde zurück. 

Die Ergebnisse der Experimente sind nicht nur Augen- und Ohrenweiden, sondern haben einen ersten Hintergrund: “Ich konstatiere einen Verlust von Institutionswissen, der unglaublich traurig ist. Durch Defunding für Wissenschaften verliert zum Beispiel die NASA über Generationen angesammeltes Wissen. Nicht viele Leute sind in der Lage, die notwendige Archivarbeit zu betreiben. Finanzierung kommt und geht, und Regierungskürzungen treffen das Raumfahrtprogramm hart.“ Und das gilt, besonders in Amerika zurzeit für viele weitere Wissenschaftsfelder. Ben Hayouns Film “Disaster Playground“ beschäftigte sich dementsprechend mit der Erforschung künftiger Katastrophen und den angesetzten Protokollen, mit ihnen umzugehen. 

Aktuell arbeitet Nelly vor allem an zwei Großprojekten. Ihrer “University of the Underground“ am Sandberg Institut, einem Programm mit dem Ziel den Studierenden zu helfen, Situationen und Veranstaltungen zu entwickeln, um gesellschaftliches Imaginieren, soziales Agieren und Machtverlagerungen innerhalb von Institutionen, Unternehmen und Regierungen zu unterstützen. Die weltweit erste Universität, die sich im Untergrund des urbanen Raumes befindet, fördert interdisziplinäre Praktiken und das Experiment als Ursprung allen Fortschritts. Und: Dem Space Viking

Dabei handelt es sich um eine Raumfahrt-Odyssee und Wikinger-Saga angesiedelt elf Kilometer unter dem Meer. Der Zuschauer geht mit auf Tauchexpedition für eine Begegnung mit Bio-Archäologie. Durch die Zusammenführung der Felder Astrobiologie und Weltraumkolonisation werden unbekannten Territorien erschlossen, die alle Felder der Wissenschaft umfassen – und die Fragen stellen nach der Rolle des Menschen im Universum. 

In einem weiteren Punkt passt Nelly Ben Hayoun ebenfalls besonders gut zu uns: Sie würde gerne mal mit Noam Chomsky als Komponisten für eine KI-Oper zusammenarbeiten, über den sie sagt: “Er hat viel zu komplexen Systemen gearbeitet und darüber geschrieben, wie unser “Geist“ funktioniert, sprachlich natürlich, aber er hat auch eine Menge Erfahrung im Bereich künstlicher Intelligenz gemacht, also ist es für mich ganz offensichtlich, dass es einen inhaltlichen Link geben würde. Ich weiß nicht, was dabei formelästhetisch herauskommen würde, aber das ist es gerade, was mich reizt. Es muss immer anspruchsvoll sein – es geht nicht nur um Orchestergesang.“

@nellybenhayoun

Bildnachweis: Aaron Wojack