2017-01-11

re:member: Zum Tod des Soziologen Zygmunt Bauman

Zygmunt Bauman war der älteste Redner, den wir je auf unseren Bühnen begrüßen durften. 2015 sprach er fulminant über Zeit/Raum-Diskontinuitäten, Gemeinschaft und Netzwerke und den Kokon-Effekt der Online-Erfahrung auf der re:publica. Mit wachem Blick aus einer fast ein gesamtes Jahrhundert (Jahrgang 1925) umfassenden intellektuellen Durchdringung der Gegenwart führte er uns den historischen Bogen desjenigen vor, der nicht inne- sondern gegenhält. Am Montag ist er in Leeds im Alter von 91 Jahren gestorben.

Würdevoller als der diesjährige rp-Speaker Professor Felix Stalder am Dienstagmorgen kann man einen Nachruf nicht beginnen: “Zygmunt Baumans humanistische Vision war tief, dunkel und kompromisslos, ohne schnelle Lösungen am Horizont.“ Und gerade das machte ihn zu einer Stimme, die deutlich zu hören war. Bauman war ein wichtiger theoretischer Bezug im intellektuellen Diskurs, auch und gerade in unserem Umfeld.

Geprägt von den eigenen Erfahrungen, zunächst im von den Nazis terrorisierten Polen, dann im Kommunismus, lag Baumans Fokus darauf, wie Menschen durch ethische Entscheidungen ein würdevolles Leben schaffen können. “Es gibt Schönheit, und es gibt Erniedrigungen“, schreibt Albert Camus, und Zygmunt Bauman, der diesen Satz an zentraler Stelle zitiert, hat beides erfahren: die Schönheit von Leben und Denken und die Erniedrigung durch die Macht – meist, ohne sich ihr zu beugen, und manchmal, indem er es tat.

Seine Werke umspannten Arbeiten zu Flüchtigkeit der Identität in der Moderne, den Holocaust als Konsequenz aus der Moderne, Konsum- und Globalisierungskritik. Als Kritiker der Konsumgesellschaft wurde er zu einem der meistzitierten Soziologen der Gegenwart und hatte immer wieder Einfluss auf gesellschaftspolitische Debatten.

Trotz seines Alters ging er so hellsichtig mit der fortschreitenden Digitalisierung im Kontext der “Kontrollgesellschaft“ um. E-Mails beantwortete er ganz selbstverständlich und mit eben solchem doppelbödigen Humor, wie man ihn auch in Debatten erlebte, und durchschaute die Janusköpfigkeit der neuen Technologien gnadenlos vor historischer Blaupause: So kritisierte er den Überwachungsstaat, verfasste Kritik zu Drohnen als maschinisierte Todesschwadronen und widmete sich in seiner letzten Monografie “Die Angst vor den anderen. Ein Essay über Migration und Panikmache“ der Migration an den Toren Europas.

Für Bauman, der sich auf Kant bezieht, war Migration in erster Linie eine moralisch-ethische Herausforderung. Er forderte ein politisches Umdenken. Die Herausforderung, vor der wir stehen – habe mit den “Fremden“, die vor Europas Türen stehen, erst begonnen. Sie sind die Boten einer Krise, die weltweit gelöst werden muss. In dem Moment, wo akzeptiert werde, dass es einen "Rest" gibt, der nicht dazugehören soll, würde mit allen christlichen und moralischen Grundsätzen gebrochen.

Auch hier besticht die Auseinandersetzung mit der Mehrdeutigkeit und die Frage, wie der moderne Staat mit Ambivalenz umgeht. Der Umgang mit neuen Tendenzen zu einer panoptischen oder post-panoptischen Gesellschaft mittels Abgrenzung ist eine große gesellschaftliche Aufgabe. Das Bauman-Institut in Leeds trägt seine Ansätze weiter: Im Jahr 2010 in Anerkennung der kritischen Soziologie gegründet, werden dort verschiedene Disziplinen wie Soziologie, Sozialpolitik, Politikwissenschaft, heterodoxe Ökonomie sowie Medien- und Kulturwissenschaften zusammengeführt um neue kritische und empirische Perspektiven für das soziale, wirtschaftliche und politische Leben der Gegenwart zu schaffen.

Gegen die soziale Fragmentierung setzte Bauman die Überzeugung, dass eine Gesellschaft der Individuen ihre Freiheit nur gemeinschaftlich verteidigen könne, indem sie sich, “im ureigenen Interesse“, um die Freiheit aller bemüht ist. Auch dank eines umfangreichen Korpus an Bild- und Tonaufzeichnungen wird Zygmunt Bauman unvergessen bleiben: “Alles im menschlichen Leben zählt deshalb, weil Menschen sterblich sind und dies auch wissen.“ 

Zygmunt Bauman über den Tod

Zygmunt Bauman über Instabilität

Bildnachweis: Narodowy Instytut Audiowizualny/Oliva Soto (CC BY-SA 2.0)