2016-12-22

#rp17-Speakerin Elisabeth Wehling: Wir müssen reden

In der letzten Woche haben wir euch Speakerin Caroline Sinders vorgestellt. Die arbeitet auf Infrastrukturebene daran, aus dem mittlerweile Schlachtfeld digitale Kommunikation wieder zu einem Diskurs zu machen. Dafür kann man aber auch an ganz anderer Stelle ansetzen, wie Kognitionswissenschaftlerin Elisabeth Wehling zeigt, indem sie unsere Off- und Online-Diskurse seziert.

Wir freuen uns sehr, dass die gebürtige Hamburgerin aus Berkeley zu uns kommt. Ganz besonders im Wahljahr, denn wir befürchten, dass wir uns auf Einiges gefasst machen müssen. Wir erleben eine Stärkung des Bewusstseins für die Relevanz von Sprache für politisches Denken und Handeln – und leider auch eine sprachliche Renaissance von nationalistischem und autoritären Gedankengut. Sich an dieser Sprache zu reiben ist eine gesunde Immunreaktion. Wir müssen aber noch mehr über Begriffe reden, sagte Wehling.

Elisabeth Wehling studierte zunächst in Hamburg, Rom und Berkeley Soziologie, Journalistik und Linguistik, später Kognitionswissenschaften. Sie stellt klar – denn sogar professionelle Politiker scheinen das manchmal zu vergessen: Hass und Lügen gehören nicht in eine verantwortungsvolle Politik, wohl aber Raffinesse und Visionen.

Seit 2013 leitet die Wissenschaftlerin am International Computer Science Institute Forschungsprojekte zu Ideologie, Sprache und unbewusster Meinungsbildung mit Methoden der Neuro- und Verhaltensforschung und kognitionslinguistischer Diskursanalyse. Gebiete, unter denen man sich vielleicht erst einmal nichts Bildliches vorstellen kann. Genau um Sprachbilder geht es aber: Nicht (nur) Fakten bedingen unsere Meinungen, sondern auch Frames. Unser Gehirn verfügt über ganze Vorratslager an abgespeichertem Wissen. Gerüche, Erinnerungen und Gefühle werden aktiviert, um Worte zu begreifen. Dabei macht es einen großen Unterschied, ob diese positiv oder negativ konnotiert sind. Eine "Flüchtlingswelle" etwa klingt dramatisch und regelrecht nach einer Bedrohung.

Frames ziehen im Gehirn die Strippen und entscheiden, ob Informationen als wichtig erkannt werden. Frames sind immer ideologisch selektiv, und sie werden über Sprache aktiviert und gefestigt – unsere öffentlichen

Debatten wirken wie ein synaptischer Superkleber, der Ideen miteinander vernetzen kann. Seinen eigenen Blickwinkel auf die Welt zu kommunizieren, das ist Framing. Im Umkehrschluss heißt es aber noch lange nicht, dass die Inhalte egal wären.

Rechtspopulisten sind im Framing ziemlich erfolgreich: Trump und die AfD setzen auf "emotionale Geschichten". So analysierte Wehling jüngst den amerikanischen Wahlkampf. Auch für die politischen Erfolge von Silvio Berlusconi in Italien hat sie Erklärungsansätze. Wehlings Buch "Politisches Framing" erhielt medial eine umfangreiche Resonanz.

Auch ein Ergebnis: In jeder Wahl ist es entscheidend, die bikonzeptuellen Wähler zu erreichen, die in ihren Überzeugungen nicht zu festgefahren sind. Wertkonservative Wähler hingegen wählen manchmal entgegen dem eigenen Interesse und auch, wenn sie einzelne Vorhaben eines Kandidaten gar nicht befürworten.

Die Wissenschaftlerin betont: "Mir geht es vor allem darum, dass wir uns im Alltag ab und an die Zeit nehmen, bei den wichtigen politischen Themen gezielt darüber nachzudenken, welche Begriffe in aktuellen Debatten genutzt werden, zum Beispiel nach einer Talkshow oder nach der Lektüre eines Zeitungsartikels. Dann entwickelt man ein Gespür dafür, welche Haltung gerade dominiert."

Für die Demokratie hat sie auch eine Empfehlung: "Wenn man ein großes politisches Anliegen hat, dann ist es am besten, nicht an etwas Altem herumzubasteln, sondern was wirklich Neues auf den Tisch zu legen." Das war ihrer Meinung nach auch EINER der Gründe, weshalb Hillary Clinton Donald Trump fast Schützenhilfe leistete – und am Ende unterlag: Sie wies im Wahlkampf oft darauf hin, wie sehr sie sich von ihm unterscheidet. Durch Wiederholung stärkte sie die von seiner Kampagne gesetzten Frames.

Demokratische und progressive Geschichten sollten mit Frames eines Miteinander erzählt werden, gegenseitiger Befähigung und Schutz. Dass diese funktionieren, hat die Popkultur mit Filmen, Büchern und Theaterstücken, die auf diesen Werten basieren, immer wieder gezeigt. "Die Parteien müssen sich mal hinsetzen und die moralischen Prämissen ihrer Politik punktgenau klären und sprachlich durchdeklinieren!" Das gilt auch im digitalen Raum.

@E_Wehling

Bildnachweis: Elisabeth Wehling