2016-12-14

#rp17-Speakerin Caroline Sinders bändigt das Internet

re:publica 2017-Speakerin Caroline Sinders beschäftigt sich nicht nur mit digitaler Ethnographie und Design – ihr derzeitiger Schwerpunkt ist, wie wir Belästigung im Internet mit Machine-Learning-Systemen eindämmen können und Funktionalitäten von Plattformen kollaborativer gestalten.

Eigentlich kommt Caroline Sinders aus New Orleans, lebt aber nach eigenen Aussagen hauptsächlich im Internet. Filter sind ein durchgängiges Thema in ihrem Leben und ihrer Forschung: So nahm die Fotografin nach den Überschwemmungen durch den Orkan Katrina durch ihren Kamera-Sucher deutliche Relevanz-Verschiebungen in Communities war und fokussierte auch ihr eigenes Interessengebiet neu – auf die digitale Ethnographie.

Ihren Master machte sie in einem Programm für interaktive Telekommunikation, wo sie sich auf "human-centered interfaces", Storytelling und Social-Media-Theorie konzentrierte, unter anderem unter Anleitung von Clay Shirky. Im Design-Team von IBMs künstlicher Intelligenz WATSON erforschte sie anschließend Trainingsprogramme für die Mensch-Maschinen-Kommunikation. Diese legten nicht nur die Varianten in der Interaktion der Künstlichen Intelligenz fest. Sie lösten gleichzeitig auch einen Nachhall in den menschlichen Probanden aus, die auf die Technologie in vorhersehbarer Weise reagierten. Caroline fragte sich daraufhin, ob dekontextualisierte Sprache in Datensets nicht ein zivilisatorischer Rückschritt sei. Stattdessen wurde eine Leitfrage für sie, wie einbettende Systeme das eigene Verhalten beeinflussen.

In ihrer Freizeit begann sie, auch durch ihre Nähe zum Indie-Gamesektor, die Online-Kommunikation und Belästigung im Umfeld der Kontroverse um #Gamergate wissenschaftlich zu beleuchten. Dabei stellte sie fest: Obwohl jede Plattform eigentlich ihre jeweilige spezifische Kommunikationsform erfordert, sind Trolle eine besonders adaptive Spezies, der es gelingt, ihrer Umgebung die Marschrichtung aufzwingen.

Amorphe Gruppen kippen dabei ihren Negativ-Aktivismus in die Online-Welt und bringen diesen wiederum zum Überschwappen in die reale. Caroline erkannte, dass die Zukunft der Politik hyper-personal sein könnte. Damit griff sie einigen Herausforderungen voraus, denen wir uns neuerdings in jedem Wahlkampf gegenüber sehen.

Während des #Gamergate-Ereignisses bauten Trolle Twitter zu einem sozialen Nachrichten-Aggregator aus. Sie nutzten Hashtags als Grundstock für forumsähnliche Strukturen: Wenn eine Person Beiträge an ein Forum postet, erwartet sie eine Antwort. So entsteht ein laufendes Gespräch. Twitter gleicht hingegen eher dem Senden von SMS-Nachrichten in den Äther in der Hoffnung, dass jemand sie auffängt. Die "Gamergater" verwendeten Twitter aber eher wie die Plattform 4Chan, bei der jeder und jede auf einer Art digitalem Schwarzen Brett posten und antworten kann. Sie pickten sich aus allen Tweets Thematiken heraus, von denen sie sich provoziert fühlten, wie etwa Anliegen des Feminismus. und versahen diese mit ihren eigenen Hashtags. Mit Hashtags versehene Nachrichten sehen aber über die eigenen Follower potenziell viel mehr Twitter-UserInnen, eine Öffentlichkeit sozusagen. So konnten die Gamergater bevorzugt Twitter-Debatten von 30 Person mit dem ursprünglichen Poster einleiten und bombardierten ihn verbal. Das wurde einem direkten Angriff viel ähnlicher als einem gegenseitigen Austausch.

In Feldversuchen versuchte Sinders an einer technologischen Lösung des Problems aus der Designer-Perspektive zu arbeiten: mit Filtern. Je mehr ihr Ansatz diskutiert wurde, desto mehr machte sie sich selbst zur Zielscheibe – bis schließlich sogar das Haus ihrer Mutter geswattet wurde.

Die Mutter fragte damals erst einmal, was Caroline denn getwittert hätte, dass die Trolle so verärgert wären. Doch Sinders realisierte, dass nicht sie den Fehler begangen hatte: Das Problem war der Mangel im System und nicht eine Schwachstelle bei der BenutzerIn. Sie musste also nach Ansätzen suchen, um zugleich sicher als auch öffentlich kommunizieren zu können.

Von der kalifornischen Sonne und dem Glauben, dass Technologie auf alle Probleme der Welt eine Lösung parat hat, dem "Tech Solutionism", hat sie sich bis vor kurzem ferngehalten. Aktuell ist sie ein Fellow bei BuzzFeed und im Eyebeam Open Labs und pendelt wischen New York und San Francisco. Sie arbeitet an einem Prototypen für ein Machine-Learning-System, das auf ihrer Grundlagenforschung basiert und versucht, Emotionen mit in KI-Prozesse einzubeziehen, um Belästigung aktiv einzudämmen. Das können wir gut gebrauchen! Und freuen uns deshalb ganz besonders auf Caroline Sinders Vortrag auf der re:publica 2017 über die Möglichkeit, emotionale Datenkorpusse im zu schaffen und diese auf Social Media-Plattformen zu nutzen, um transparente, partizipative Systeme zu kreieren.

@carolinesinders

Bildernachweis: Caroline Sinders